Wo? Am Gemeindepavillon in Anif, neben dem Eingang zur Gemeindebibliothek in Anif.
Georg Trakl hat den Ort Anif, der südlich der Stadt Salzburg, nicht weit entfernt vom Schloss Hellbrunn, liegt, wohl von seinen ausgedehnten Spaziergängen gekannt. Das Gedicht enthält mehrere Erinnerungen, das erste Wort eröffnet diese Reihe. Grundiert ist sie vom Bewusstsein um die „Schuld des Geborenen“.
Einen ersten Entwurf hat Trakl möglicherweise in Wien verfasst, in Innsbruck stellte er kurz darauf im Dezember 1913 mit der Schreibmaschine eine Reinschrift her; in dieser Form erschien es im „Brenner“ vom 1. Jänner 1914. © Internationales Trakl-Forum der Salzburger Kulturvereinigung. F.d.I.v.: Dr. Hans Weichselbaum (Hrsg.): Georg Trakl: Die ‘Salzburg’-Gedichte.
Audiospur: Gedicht „Anif“ – gelesen von Gernot Rath
Anif
Erinnerung: Möven, gleitend über den dunklen Himmel Männlicher Schwermut. Stille wohnst du im Schatten der herbstlichen Esche, Versunken in des Hügels gerechtes Maß; Immer gehst du den grünen Fluß hinab, Wenn es Abend geworden, Tönende Liebe; friedlich begegnet das dunkle Wild, Ein rosiger Mensch. Trunken von bläulicher Witterung Rührt die Stirne das sterbende Laub Und denkt das ernste Antlitz der Mutter; O, wie alles ins Dunkel hinsinkt; Die gestrengen Zimmer und das alte Gerät Der Väter. Dieses erschüttert die Brust des Fremdlings. O, ihr Zeichen und Sterne. Groß ist die Schuld des Geborenen. Weh, ihr goldenen Schauer Des Todes, Da die Seele kühlere Blüten träumt. Immer schreit im kahlen Gezweig der nächtliche Vogel Über des Mondenen Schritt, Tönt ein eisiger Wind an den Mauern des Dorfs. (Georg Trakl, 1913)